den folgenden Text habe ich spontan aufs Diktaphon gesprochen
kurz vor der Fertigstellung dieser Zeichnung
Ich habe ihn einfach so abgetippt
ohne Veränderung oder "Verbesserung"
weil mir gerade dieses Rohe, Ungeschliffene gut gefällt
im Kontrast mit der Exaktheit und perfekten Ausgefeiltheit der Zeichnung
beim Runterscrollen sehen Sie erst die Zeichnung und darunter das
was die Iris selber sagt
Auftragsarbeit für den Botanischen Garten München
anläßlich der Internationalen Ausstellung Hoher Bartiris
die dort alljährlich stattfindet
Die Iris sagt:" Ich kenne den Raum, ich drehe mich hinein in den Raum
Ich habe ein System gefunden für meine Nervatur, und das variiere ich, das wende ich an
In meinen Hängeblättern kombiniere ich es mit der Farbe
die sich an den Nerven entlang anlagert
In den Domblättern lasse ich es licht werden
und auch in den Hüllblättern der Knospe...
Was ist das das Gemeinsame? Das Gemeinsame ist das fast parallele,
in einem relativ engen Winkel sich Verzweigende.
Verzweigend , aber nicht netznervig.
Die Iris sagt:" Ich bin ganz schön dominant
ich nehme nicht Kontakt auf mit irgendetwas
ich genüge mir.
ich bin in meiner Einheit und Vielfalt
Ich strebe Perfektion an. Sie ist schon ganz nah
Es gibt noch Stellen, wo es noch nicht fertig ist, aber es ist mein Ziel
Rieche ich nach Erde? HM
Ich BIN Erde,
ich bin sublimierte Erde
Rieche ich danach?
Ich rieche ein bißchen Abgrund
Ich beängstige mich selber mit diesem Dunkel
Meine Knospe liegt im Schatten
Meine Knospe hebt mein eines Tragblatt hoch und bildet einen starken Kontrast
Ich bin eine Momentaufnahme
aber ich bin eine perfektionierte Momentaufnahme
ich gehe über den Augenblick hinaus. Ich bin eine Idee
Ich bin eine Idee, die einen Moment lang, einen Tag lang perfekt verwirklicht wird
und dann vergeht mein Körper, aber die Idee ist da.
Die Idee ist aber spannenderweise dynamisch
Die Idee ist immer perfekt, entwickelt sich aber auch weiter
Ist sie immer perfekt?
Das ist ein Fragezeichen, sie ist ein Versuch zur Perfektion
Sie ist ein Versuch, sich ständig dynamisch -
also ständig im Dialog mit der ständig sich verändernden Wirklichkeit...
Bin ich zugänglich?
Ich bin natürlich zugänglich, ich locke ja sogar
ich will, daß jemand zu mir kommt
ich locke mit diesen Pollenatrappen
ich locke mit diesem Griffel-Ästchen
Nektar
der Öffnung
Man kann auf mir spazierengehen
man kann sich hineinvertiefen in meine Details
und in mein Overall-System
Ich bin elaboriert, sagt die Iris
Ich bin wirklich durchgearbeitet
Ich habe Substanz, ich habe Lust am Detail
Ich habe Zeit und ich brauche Zeit
Nimm dir Zeit, mich anzuschauen, sagt die Iris
Ich habe Zeit gebraucht zu werden, nimm dir Zeit, mich anzuschauen!
sagt die Iris
Ich bin die Idee, sagt die Iris,
und alle, die so bunt neben mir stehen auf dem Beet...
I c h bin die schwarz-weiße Idee
Ich brauche keine Farbe
D i e a l l e sind die Wirklichkeit
die alle sind die bunte Wirklichkeit, die Vielfalt,
das, was aus der Idee werden kann
Die tägliche Umsetzung von Perfektion in verspielte lustvolle Vielfalt
I c h ergreife den Raum
und ich ergreife ihn auf meine strukturierte Weise
Ich erfülle den Raum mit ganz schön viel Energie
Der Tod ist mir nicht fremd, sagt die Iris
Mein eines Hängeblatt, so perfekt der Moment auch ist
aber mein eines Hängeblatt nimmt schon Kontakt auf
hat schon kleine Risse
kranzelt sich schon ein
-- und der perfekte Moment kennt schon das Vergehen...
Der perfekte Moment kennt aber auch das Kommen
Meine Knospe steht schon in den Startlöchern
Die offene Blüte ist perfekt und ist graaaaaade im ersten Umschlag zum Sterben
Aber die nächste Knospe ist schon ganz prall
Die ist schon ein ganz kleines bißchen am Aufgehen
Die kommt schon.
Und die Idee setzt sch fort
Die Knospe wird sein wie ich....aber doch...ein bißchen anders
Die Iris sagt
Ich bin eine Einzelpersönlichkeit
Ich bin hineingestellt ins Werden und Vergehen
aber ich genieße den perfekten und superintensiven Moment
Der Moment ist Jetzt, sagt die Iris
Sagt sie das?
Ja.
JETZT, JETZT und wieder JETZT, sagt sie.
Und nicht WischiWaschi, sondern präzise
Nicht ein bissel hier und ein bissel da, sondern Jetzt, Jetzt, und wieder: JETZT!
Eine große Intensität empfinde ich und fordere dazu auf
sagt die Iris
Ich bin irgendwo ein Dreieck. Ich habe eine breite Basis
und verjünge mich nach oben
Es ist keine nach oben öffnende Geste bevorzugt, sondern eher
eine nach unten öffnende Geste
ich umarme den Raum, aus dem ich komme
Ich wachse von unten daher, und umarme zurück
Die Iris sagt, ich will dich bewegen
Ich ruhe in mir selbst - aber es gibt eine starke Bewegung in dieser Ruhe
Laß dich von mir bewegen!
Die Iris sagt
Ich bin eine Liebeserklärung an den botanischen Garten
und ich gehöre da hin
Die Iris sagt, die beiden asymmetrischen Räume rechts und links von meiner Knospe
auf die steh ich total!
Ich öffne meine Räume
ich laß mir unters Röckchen gucken! sagt die Iris
Wer kann, der darf
Jeder, der kann, der darf
Ich öffne mich, guck, mein Röckchen schwingt im Wind!
Und drunter gibts - ganz viel...guck, die nächste Knospe...
ganz dunkel ist die und hell und fein und kontrastreich...
ganz dunkel ist mein Mund, mit dem ich---wie heißt es, und meine Hände sind...?
von Ebenholz, ...wie heißt es bei Rilke?
Das ist es, was die Iris sagt, hey ja, eigentlich sagt die Iris Rilke
Fein, dunkel...
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Rainer Maria Rilke,Stundenbuch.
Zitat aus "von der Armut und vom Tode"